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1963: Am Küchentisch von Frau Karmann

Ursula Morenzin, 1963

Ursula Morenzin, 1962

Ursula Morenzin hat schon in der Anfangszeit vom Verein in der Lebenshilfe mitgeholfen. Der Verein hatte damals noch keine Mitarbeiter. Die Arbeit haben freiwillige Helfer gemacht. Es gab kein Büro. Zum Arbeiten haben sich die Helfer in der Küche von Frau Karmann getroffen. Frau Karmann war die erste ehrenamtliche Geschäftsführerin. Am Küchentisch wurde gearbeitet. Ursula Morenzin hat eine Tochter mit Behinderung. Sie erzählt auch davon wie es ihrer Tochter bis jetzt ergangen ist.

Eine kleine Zeitungsannonce war es, die Ursula Morenzin 1963 auf die Lebenshilfe Köln aufmerksam machte. Ihre Tochter Ruth war drei Jahre alt und es zeigte sich immer deutlicher, dass ihre Entwicklung verzögert war. Zu der Zeit gab es für Familien mit einem behinderten Kind keinen vorgezeichneten Weg und nur wenige Anlaufstellen, die man aber erst einmal finden musste.

Mit Ruth im Kinderwagen machte Frau Morenzin sich auf dem Weg zu Frau Karmann, zu der Zeit die erste ehrenamtliche Geschäftsführerin, später Vorstandsvorsitzende der Lebenshilfe Köln. In den 60er Jahren erledigte Frau Karmann, selbst Mutter eines behinderten Sohnes, die Arbeit von zu Hause aus, denn ein Büro gab es noch nicht. Frau Morenzin erhielt bei ihrem Erstbesuch wertvolle Ratschläge und Informationen und bot Frau Karmann daraufhin spontan an, sie bei der Arbeit zu unterstützen. In den nächsten Jahren machte sie sich immer wieder auf den Weg zu Frau Karmanns Haus in Köln-Rath. Dort arbeiteten die beiden Frauen am Küchentisch, mit einem Karteikasten und einer Schreibmaschine als einzige Hilfsmittel.

Die Korrespondenz, inklusive Rechnungen für Mitgliedsbeiträge, wurde von Hand geschrieben. Lediglich bei den Rundschreiben kam die Schreibmaschine zum Einsatz. Diese wurden auf sogenannte Matrizen geschrieben und anschließend von Frau Morenzin zum Vervielfältigen zur Chemischen Fabrik Kalk gebracht, wo es einen Matrizendrucker gab. Ursula Morenzin erinnert sich: „Ich habe immer Blut und Wasser geschwitzt, dass ich mich nicht verschreibe. Dann musste man von vorne anfangen und Matrizen waren teuer.“

Frau Morenzin unterstützte Frau Karmann, bis 1971 die erste Geschäftsstelle der Lebenshilfe Köln in Ehrenfeld eingerichtet und eine hauptamtliche Mitarbeiterin eingestellt wurde.

Und wie ging es mit Frau Morenzins Tochter Ruth weiter? Auf Empfehlung von Frau Karmann wandte sich Frau Morenzin zur Beratung an Frau Dr. Brückner beim Gesundheitsamt der Stadt Köln. Ruth besuchte daraufhin in ihrer Kindheit und Jugend unterschiedliche Heilpädagogische Tagesstätten, erst in Kalk, dann in Dellbrück und zuletzt in Rath. Trotz der schon damals geltenden Schulpflicht blieb Ruth ein Schulbesuch verwehrt, denn sie wurde zunächst als nicht schul-, später auch als nicht sonderschultauglich eingestuft. Dennoch bekamen ihre Eltern ein Schreiben des Schulamts mit der Aufforderung, das Kind doch zur Schule zu schicken. Welch ein Hohn für die Eltern, die ihrer Tochter liebend gern einen Schulbesuch ermöglicht hätten.

Als Ruth zu alt für die Heilpädagogische Tagesstätte war, gab es für sie in Köln keine Betreuungs-, Wohn- oder Arbeitsmöglichkeiten. Zwar existierten in den 60er Jahren bereits einige sogenannte Anlernwerkstätten, aber die nahmen nur sehr leistungsfähige Menschen mit Behinderung auf.

Ruth Morenzin zog mit 17 Jahren nach Gangelt in eine Großeinrichtung, die sich in erster Linie an Menschen mit psychischen Erkrankungen richtete, damals aber häufig die einzige mögliche Unterbringung für Frauen mit geistiger Behinderung darstellte. Später konnte sie in ein neues Wohnhaus der Gangelter Einrichtungen in Geilenkirchen ziehen, wo sie bis heute lebt. Tagsüber besucht sie eine Werkstatt der Lebenshilfe Heinsberg. Ihre Mutter, die zwischenzeitlich in Marburg lebt und seit einem Sturz bewegungseingeschränkt ist, sieht sie aufgrund der großen Entfernung nur noch selten. Aber dank neuer technischer Möglichkeiten wie Skype stehen die beiden regelmäßig im Kontakt.

Dieser Artikel stammt aus unserem Jubiläumsmagazin "Lebens(t)räume erobern".

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