Von Silke Mertesacker
Kontakte gehören zu unserem Leben dazu – kurze und lange, intensive und oberflächliche, nahe und distanzierte. Manchmal sind es zu viele, manchmal fehlen uns Kontakte. Nicht immer können wir selbst bestimmen, welche Kontakte sein müssen, aber menschliche Kontakte bereichern unser Leben und ganz ohne Kontakte können wir nicht existieren.
Und dann kam Corona - und plötzlich war nichts mehr selbstverständlich. Körperliche Nähe zu anderen war gefährlich, wir mussten unsere Kontakte extrem einschränken. Für Menschen mit Behinderung und ihre Familien war diese Situation besonders extrem: Welche Behinderungen führen zu einer schweren Corona-Erkrankung? Wie viele Kontakte gehen überhaupt noch und in welcher Form? Aus Sorge um die Gesundheit wurden Kontakte stark eingeschränkt, viele Menschen mit Behinderung konnten ihre Unterstützungssysteme nicht mehr nutzen, Kitas und Schulen wurden geschlossen und in den Wohneinrichtungen gab es plötzlich Besuchsverbote für die eigenen Eltern.
In dieser Situation bekam die Familie eine große Bedeutung und viele Menschen zogen sich in ihre Häuslichkeit zurück. Gerade für Familien mit Angehörigen mit Behinderung, die häufig auf Unterstützung angewiesen sind, um ihren herausfordernden Alltag zu meistern, war das eine sehr harte Zeit. Viele hatten das Gefühl, von der Gesellschaft vergessen zu sein. In den Medien wurden immer wieder die sogenannten „vulnerablen“ Personengruppen benannt, die Bedürfnisse und Lebenssituationen von Menschen mit geistiger Behinderung wurden aber zunächst kaum berücksichtigt. Eine sehr schmerzhafte Folge waren neben den Betretungsverboten in allen Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe die viel zu späten Impfangebote für diesen Personenkreis, auf Seite … berichten wir von dem „Impfdebakel“ in Köln.
Es gab auch positive Reaktionen. Die Unterstützungsbereitschaft von Spendern war groß, die Aktion Mensch war aktiv und bot sehr schnell Förderung von Projekten an, die helfen konnten. Die Stadt Köln hat früh beschlossen, mit finanziellen Hilfen dazu beizutragen, dass soziale Dienstleistungsangebote auch über die Pandemie hinaus in Köln erhalten bleiben sollen – auch die Lebenshilfe hat von dieser Unterstützung profitiert.
Es ist sehr deutlich geworden, wie stark sich Menschen mit Behinderung und ihre Familien gegenseitig unterstützen können und dass es eine wichtige Aufgabe der Lebenshilfe ist, auf ihre besondere Lebenssituation aufmerksam zu machen – während und nach der Krise.
Mit fast 800 Mitgliedern – Menschen mit Behinderung, Angehörige und Freunde – sind wir ein starker Verein. Eine wichtige Aufgabe des Vereins ist es heute aber vor allem, die Selbstvertretung von Menschen mit Behinderung besser zu stärken. Dazu ist bei der Lebenshilfe Köln ein Projekt gestartet, in dem Menschen mit Behinderung, Angehörige und Hauptamtliche gemeinsam erarbeiten, wie Selbstvertretung im Verein besser gelingen kann. Damit möchten wir eine stärkere Stimme bekommen, um auch in Krisenzeiten schneller auf die besonderen Probleme aufmerksam zu machen.
Im nächsten „Kontakte-Magazin“ werden wir davon mehr berichten.
Jetzt, im September 2021, sind wir zunächst froh, dass die meisten Kontaktbeschränkungen aufgehoben sind und unser Leben sich so langsam wieder „normalisiert“. In diesem Heft möchten wir aber nochmal zurück schauen und laden Sie ein, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven auf die Lebenssituation der letzten Monate zu blicken.