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„Jeder sollte so leben können, wie er möchte“

Interview mit Peer-Beraterin Vanessa Steinert

Das Interview führte Annette Lantiat

Vanessa Steinert ist 37 Jahre und lebt seit 2014 mit 24-Stunden Assistenz. Sie hat eine Ausbildung zur Kaufmännischen Angestellten absolviert und arbeitet halbtags in der GWK in Köln-Rodenkirchen am Empfang. Zurzeit macht sie eine Ausbildung zur Peer-Beraterin.

Ich treffe Frau Steinert in ihrer Wohnung in Hürth. Ihre Assistentin ist zu Anfang kurz dabei, um uns mit Getränken zu versorgen. Dann zieht sie sich zurück.
Ich interessiere mich besonders für Frau Steinerts Alltag mit 24-Stunden Assistenz und möchte wissen, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf ihren Alltag hat.

Frau Steinert, Sie leben seit 2014 mit 24-Stunden Assistenz. Wie kam es dazu?

Ich habe vorher acht Jahre in einer Wohngruppe gelebt. Für mich war immer klar, nach dem Internat ziehe ich von zu Hause aus. Da war die Wohngruppe ein guter Zwischenschritt. Aber mir war auch immer klar, ich möchte, dass es ein Zwischenschritt bleibt. Ich bin sehr froh, dass ich da jetzt raus bin. Es war eine größere Wohngruppe mit zehn Leuten, alle eher mit geistiger Behinderung. Im Alltag hieß das, entweder alle ins Kino oder keiner.

Für individuelle Freizeitaktivitäten war nicht viel Raum. Auch wenn es ein sogenanntes „Begleitsystem“ gab. Man konnte Begleitmärkchen bekommen, die konnte man auf zehn aufsparen. Aber wenn man dann, so wie ich, etwas nachtaktiver ist, kam man mit diesen zehn Märkchen nicht weit. Man konnte gerade die Kneipentür auf- und dann wieder zumachen.

Meinen ersten Antrag auf Assistenz habe ich schon 2008 gestellt. Starten konnten wir dann sechs Jahre später, also 2014. Das war ein langer Kampf. Weil ein Wohnheimplatz – habe ich zumindest gehört – billiger ist als die Assistenz. Geholfen haben mir meine Mutter und meine Familie insgesamt. Außerdem die KoKoBe in der Südstadt. Wir wussten ja erstmal alle gar nicht, wie das funktioniert. Weil ich die erste war, die den Weg von der Wohngruppe zur Assistenz gegangen ist.

Über den Einzug in die eigene Wohnung mit Assistenz habe ich mich so gefreut – das war wie Geburtstag und Weihnachten zusammen. Jetzt kann ich mein Leben so gestalten wie ich das möchte, individuell.

Wie sieht denn Ihr Alltag mit Assistenz aus?

Für mich ist das Leben mit 24-Stunden Assistenz gut, weil ich alles individuell gestalten kann. Meine Assistent*innen sind Arme und Beine, ich bin der Kopf. Also wenn ich nicht sage, macht mal bitte die Wäsche, dann wird sie auch nicht gemacht. Die machen das nicht von alleine und das soll auch so sein.

Bei mir arbeiten mittlerweile sieben Assistent*innen. Ich nutze eine Assistenzfirma, denn das Arbeitgebermodell traue ich mir noch nicht zu. Aber ich kann trotzdem mitbestimmen, wer zu mir kommt, wie die Dienstpläne aussehen. Die Assistenten, die ich jetzt habe, werden komplett auf mich zugeschnitten. Ich musste das auch erst lernen. Als ich angefangen habe, gab es noch kein vorgefertigtes Team. Die Chefin kam erst zu mir und hat mich gefragt: Was ist Ihnen wichtig? Wie würden Sie Ihr Leben gerne leben? Wer soll Sie unterstützen? Und ich habe gefragt: Das darf man sich aussuchen? Antwort: Ja klar, das ist doch Ihr Leben! Aber das war ich alles nicht gewöhnt und wurde echt ins kalte Wasser geschmissen. Und das kommt mir heute manchmal noch komisch vor. Wenn ich frage, kann ich denn jetzt noch mal duschen gehen und die Assistenten sagen: ja klar, wer soll dich denn daran hindern?

Immer jemanden um mich herum zu haben, musste ich am Anfang lernen und manchmal geht mir das auch ein bisschen auf den Keks. Das ist der Grund, weshalb ich eine 3-Zimmer Wohnung habe mit einem eigenen Zimmer und Rückzugsort für die Assistenten. Ich habe hier immer eine Klingel und die kommen dann, wenn sie gebraucht werden. Oder wenn mein Freund da ist, möchte ich auch nicht, dass die Assistenz ständig um mich herum ist. Ich möchte schon, dass meine Assistenz einen Rückzugsort und ein ordentliches Bett hat, denn sie ist 24 oder auch 48 Stunden bei mir. Privatsphäre ist mir sehr wichtig.

Vanessa Steinert
Vanessa Steinert
Foto von Vanessa Steinart

Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Ihren Assistent*innen?

Das wurde mir von der Assistenzfirma beigebracht, dass man das besser von Anfang an zwischen Freunden und Assistenten unterscheiden soll. Es ist gut, wenn man ein gutes Verhältnis zu seinen Assistenten hat, aber man muss immer gucken, dass es eine Arbeitsbeziehung bleibt. Wenn ich meiner Assistentin einen Auftrag gebe, kann die das privat nicht gut finden, aber sie macht es trotzdem in ihrem Beruf. Der Freund kann sagen, „ne, da habe ich jetzt keine Lust zu.“

Und wie hat sich die Corona-Pandemie auf Ihr Leben ausgewirkt?

Der erste Lockdown hat mich irgendwie kaputtgemacht. Meine sozialen Kontakte haben mir gefehlt. Und wenn man dann immer nur Assistenten um sich herum hat, weiß man irgendwann auch nicht mehr, was man sich noch erzählen soll. Für mich war es sehr beklemmend, weil ich nicht rausgehen konnte. Ich habe zwar einen großen Balkon, aber das Rausgehen, was von der Welt erleben und Mitmachen, in die Kneipe gehen und ein Bier trinken, das hat mir schon sehr gefehlt.

Und da haben sich meine Assistenten schon ein bisschen Sorgen und Gedanken gemacht, dass ich meinen Spaßfaktor verliere. Weil ich ein bisschen anders war als sonst, es hat mich ziemlich runtergedrückt. Alle haben gefragt: Wo ist denn die Vanessa, die wir kennen? Und ich: Wenn ihr sie wiederfindet, sagt mir Bescheid.

Ich habe auch das Gefühl, die Leute sind aggressiver geworden. Da werde ich schon mal gefragt: „Warum müssen Sie denn jetzt hier mitfahren?“ Ich irritiere die Leute dann lieber anstatt mich aufzuregen, indem ich antworte: „Weil ich auch irgendwo hin muss. Genauso wie Sie.“

Man muss lernen, dass jeder Tag mit Corona wieder anders ist. Vielleicht wird es auch nie mehr weggehen, aber ich hoffe, dass es gemildert wird.

Ich habe aber eine positive Lebenseinstellung und versuche, immer das Beste aus einer Situation zu machen. Jammern können die anderen, ich nicht.

Hat die Corona-Pandemie auch Auswirkungen auf das Assistenz-Modell?

Ja, ich habe eine Person in meinem Team, die ist ein totaler Corona-Leugner. Das ist für mich total schwierig, wenn sie die Regeln der Assistenzfirma (Masken, Testen) nicht einhält. Ich habe demnächst einen Peer-Beratungstermin, bei dem sich endlich mal wieder alle Peer-Berater*innen treffen. Daher musste ich die Assistenzfirma bitten, den Dienstplan umzustellen, weil diese Dame im Dienst gewesen wäre und sich nicht testen lässt. Das macht mich schon sehr wütend.

Es gab schon sehr viele Gespräche mit der Assistenzfirma, ihr und mir. Meine Assistenzfirma arbeitet zu meiner vollen Zufriedenheit an einer Lösung, um mir meine Spontaneität im Alltag zurückzugeben. Die letzte Konsequenz wäre, dass sie mein Team verlässt, wenn sie weiter uneinsichtig ist. Ich finde, das schränkt mich sehr ein, weil die Spontaneität ist nicht mehr so gegeben ist, egal wohin ich gehen möchte.

Sie machen eine Ausbildung als Peer-Beraterin. Wie kam es dazu? Und was machen Sie dort?

Ich persönlich finde es sehr schade, dass Rollstuhlfahrer*innen, wie ich damals, nur durch Zufall von der Möglichkeit eines Lebens mit Assistenz erfahren haben. Aber besser spät als nie. Was ich mir wünschen würde ist, dass Assistenz mehr in aller Munde wäre und jeder die Möglichkeit hätte, so zu leben wie er kann und möchte.

Peerberatung bedeutet, dass Menschen, die eine Behinderung haben andere Menschen mit Behinderung beraten. Das hat den Vorteil, dass der Beratende sich viel besser in die Situation des behinderten Menschen hinein versetzten kann, als eine nichtbehinderte Fachkraft. Denn man redet auf Augenhöhe. Falls ihr Informationen darüber oder gern ein Beratungsgespräch möchtet, meldet euch bei Tanja Bauer oder Claudia Lange in der Peerberatungsstelle der KoKoBe.

Wir sind ein Team von acht Personen mit unterschiedlichsten Behinderungen, die eine Ausbildung zum Peerberater*in machen und beraten über die Themen Wohnen, Arbeit, Freizeit und Selbständigkeit.

Können Sie in einem Satz zusammenfassen, was Ihnen besonders am Herzen liegt?

Es ist mir wichtig, anderen Menschen zu helfen und meine Geschichte zu erzählen. Jeder sollte so leben, wie er kann und wie er will. Für mich ist es egal ob jemand sprechen kann oder nicht. Ich finde, es soll Menschen geben, die mehr darauf achten, den Menschen, egal wie sie kommunizieren können, zuzuhören und sie nicht zu übergehen. Dafür setze ich mich auch in der Peer-Beratung ein. Inklusion, egal in welcher Form, ist wichtig.

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