Von Annika Wleklinski
Kurz und einfach
Annika Wleklinski ist 25 Jahre alt. Sie hat eine Komplexe Behinderung. Sie sitzt im Elektro-Rollstuhl. Sie kann nicht sprechen. Weil Annika Wleklinski fast blind ist, kann sie einen Sprach-Computer im Alltag nicht benutzen.
In dem Artikel erklärt Annika Wleklinski, wie sie andere Menschen auf sich aufmerksam macht. Wenn sie zum Beispiel Hilfe braucht oder Schmerzen hat.
Und wie sie ein Gespräch führt. Dazu benutzt sie zum Beispiel Gesten für „ja“ und „nein“.
Liebe Leserin, lieber Leser,
stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten große Schmerzen und keiner um Sie herum weiß es, aber Sie können es auch nicht sagen. Und anstatt dass Ihnen geholfen wird, bekommen Sie Ärger mit Ihren Mitmenschen, weil Sie sich komisch verhalten. Sicherlich denken Sie jetzt: Was für eine wirklich schlimme Vorstellung hat diese junge Frau, die auf dem Foto so fröhlich aussieht.
Am besten stelle ich mich Ihnen erst einmal vor. Ich bin Annika Wleklinski, bin 25 Jahre jung und wohne mit Hilfe meines Assistententeams in meiner eigenen Wohnung. Da im Kontakte-Magazin dieses Mal Menschen mit Komplexen Behinderungen im Mittelpunkt stehen, will ich nicht verschweigen, dass ich viele Beeinträchtigungen habe. Ich kann kaum sehen, sitze in einem Elektro-Rollstuhl und kann meistens nur über Gesten und Laute kommunizieren.
Ich hatte großes Glück, in eine Familie mit drei Geschwistern geboren worden zu sein, die sich, wie auch meine Eltern, immer sehr bemüht haben herauszufinden, was ich wohl äußern möchte, wenn ich weinte, auf einmal ganz still war oder plötzlich anfing zu lachen. Auch bekam ich früh in der Schule und zu Hause Geräte für eine Unterstützte Kommunikation. Das führte über die Jahre dazu, dass ich heute mit einem Sprachcomputer arbeiten kann, den ich mithilfe eines extra dafür entwickelten Programms über das Hören von Lauten bediene. Leider ist das für einen Gebrauch im Alltag nicht wirklich eine große Hilfe. Ich bin meistens mit meinem System von Gesten und Stimmungen schneller im Vermitteln meiner Äußerungen, als durch das Finden des richtigen Wortes in meinem Talker. Zudem gibt es viele
Situationen in meinem Alltag, in denen ich nicht sofort auf den Talker zugreifen kann. Man stelle sich einfach nur vor, dass ich unter der Dusche stehe und ausnahmsweise kaltes Wasser haben möchte. Hier fällt der Talker als mögliches Hilfsmittel definitiv aus. Großartig hingegen ist er, wenn ich zum Beispiel für größere Vorträge angefragt werde, die ich vor vielen Menschen über mein Leben, meine Erfahrungen mit Unterstützter Kommunikation oder über meine Erlebnisse mit Vorurteilen und Selbsthilfe halten soll.
Im Laufe meines Lebens habe ich gelernt, Stimmungen so einzusetzen, dass mein aufmerksames Gegenüber sich bemüht, herauszufinden, was ich äußern möchte.
Wenn wir uns austauschen wollen, muss ich zuerst dafür sorgen, dass Sie auf mich aufmerksam werden und mich interessant finden. Dann möchten Sie vielleicht versuchen, mich zum Lächeln zu bringen. Oder Sie haben das Gefühl, dass es mir nicht gut geht und möchten mir helfen. Sie haben also schon ganz konkrete Auslöser, mir Fragen zu stellen, die ich dann mit einer Geste für JA oder NEIN oder VIELLEICHT (trifft es noch nicht so ganz) beantworten kann. Im Übrigen schreibe ich gerade auch so diesen Artikel.
Kommen wir zurück zur Situation, die ich zu Beginn dieses Beitrags beschrieben habe. Ich erlebe tatsächlich häufig Situationen, in denen ich starke Schmerzen habe und es nicht oder schwer äußern kann, so dass meine Mitmenschen es zunächst nicht bemerken. Für das Gelingen eines Gespräches
sind jetzt die Aufmerksamkeit, Sensibilität und das Einfühlungsvermögen meines Gegenübers das Wichtigste. Wenn sie oder er mich versteht und wir über die Schmerzen sprechen, lindert das meine Angst und ich fühle mich mit meinen Problemen nicht so alleine. Die Herausforderung für uns Menschen mit einer Komplexen Behinderung ist, diese Sensibilität unseres Gegenübers zu stärken aber darauf Acht zu geben, dass das Einsetzen von Gefühlen und Stimmungen das Gegenüber nicht zu sehr berührt. Oder mit einfacheren Worten: dass mein Weinen den anderen nicht so schockiert, dass er lieber davon läuft.
Konkret könnte ein Gespräch so aussehen:
Wenn ich Menschen gerade erst kennengelernt habe, ist – wie bereits erwähnt – schon die Kontaktaufnahme viel Arbeit. Wenn ich Menschen dann besser kenne, verändert und erweitert sich der Inhalt der Gespräche. Es geht nicht mehr nur darum, dass ich etwas trinken oder essen möchte, oder ob mir zu warm oder zu kalt ist. Wenn ich ein Gespräch beginnen möchte, strecke ich meinen Arm aus, als würde ich meinen Gesprächspartner anstupsen wollen, oder ich mache meine Augen weit auf. Meistens wird dann ganz gut verstanden, dass ich etwas sagen möchte. Nehmen wir jetzt als konkretes Beispiel
an, dass ich meinem Assistenten sagen möchte, dass ich mich mit meinen Freunden wie verabredet treffen will, aber nicht in der Stadt, sondern zu Hause, weil ich Kopfschmerzen habe. Es reicht dann nicht mehr, nur durch Lächeln, grimmig Gucken oder mit Gesten JA oder NEIN auf EINE Frage zu antworten. Und es reicht auch nicht, wenn mein Gesprächspartner mit EINER Antwort zufrieden ist und das Gespräch endet. Nachdem ich also signalisiert habe, dass ich etwas sagen möchte, fragt man mich beispielsweise,
ob es um eine Person geht oder um ein Ereignis. Ihr Sprechenden denkt jetzt sicherlich, dass meine Bestätigung für ein Ereignis kommen sollte. Ich habe aber die Erfahrung, dass wir schneller zum richtigen Ergebnis kommen, wenn ich auf die Suche nach den Personen eingehe. Fallen dann die Namen meiner Freunde, bestätige ich diese genauso wie die Vermutung, dass ich mich mit ihnen treffen möchte. Jetzt darf aber das Gespräch nicht enden. Menschen, die viel mit mir sprechen, wissen, dass sie jetzt nachfragen, ob es noch mehr dazu gibt. Jetzt gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, wie wir zum Ergebnis kommen. Manchmal hilft es, wenn wir den Druck erhöhen. Entweder der Assistent sagt, dass er es jetzt unbedingt herausfinden will oder ich zeige mit meinem Körper, dass ich ungeduldig werde. Auf diese Weise kommt man manchmal auf naheliegende Rückschlüsse. Zuviel Druck kann aber auch dazu führen,
dass wir eine Pause brauchen und neu beginnen müssen. Eine andere Möglichkeit ist, wie bei einem Ratespiel vorzugehen. Das ist zwar mit Freude verbunden, bringt aber meist zunächst nur eine Annäherung an das Gemeinte.
Ich glaube, ich habe Ihnen jetzt einen kleinen Einblick gegeben, was mich in meinem Leben einschränkt oder was mir weiterhilft, ohne die einzelnen Erlebnisse zu erzählen, die sonst das ganze Heft füllen würden.
Ich wünsche mir, bald auch mit Ihnen in Kontakt zu kommen – vielleicht ja bei einem meiner Vorträge.
Viele Grüße
Annika Wleklinski (nnkwlklnskgmlcm)