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"Ich möchte Henry ein Gesicht geben"

Von Florian Tomaszewski 

Kurz und einfach

Henry ist 7 Jahre alt. Er geht in einen Kindergarten in Köln Widdersdorf. Es ist sein letztes Jahr im Kindergarten. Danach geht er auf eine Förderschule. Henrys Mutter ist deswegen aufgeregt. Über das Leben mit Henry berichtet sie auf Instagram.

Die Vorschulkinder der Kita ‚rainbowtrekkers‘ in Köln-Widdersdorf berichten im Morgenkreis von ihrem Wochenende. Stolz erzählen sie den anderen von ihrem Schwimmkurs oder dem Kinobesuch. Fallen sich gegenseitig ins Wort und holen zwischen ihren Sätzen kaum Luft. Der 7-jährige Henry zeigt nur wenig Interesse an den Schilderungen der anderen. Viel zu sehr lenkt ihn die Anwesenheit einer
ihm fremden Person im Raum ab. Schließlich fragt ihn seine Begleitung Jasmin B., ob er jetzt gehen möchte und verabschiedet sich mit Henry von den anderen Kindern.

In der Kita ist Henry allen bekannt. Er wird überall freundlich begrüßt, er selbst verteilt Luftküsse und strahlt alle an. Sprechen kann Henry nicht, auch beim Laufen benötigt er Unterstützung. „Schon in der Schwangerschaft wurden Auffälligkeiten festgestellt“, erzählt Henrys Mutter Eva Karbaumer. Aber erst seit 2020 weiß die Familie, dass es sich um das CLIFAHDD-Syndrom handelt, einen Gendefekt, der noch nicht lange erforscht ist und von dem es weltweit bisher nur wenig bekannte Fälle gibt. Henry lebt mit seinen Eltern in Köln, er hat zwei ältere Halbgeschwister, die jedoch nicht im gleichen Haushalt leben. Seine Mutter beschreibt ihn als fröhliches Kind und selbst wenn man Henry erst wenige Minuten kennt, weiß man sofort, was sie meint.

Mit seiner großen Brille und einer gelben Regenjacke sitzt Henry jetzt auf einem Rutscheauto. Die Kinder spielen auf dem Außengelände der Kita. Immer an Henrys Seite: Jasmin B.. Bereits seit fünf Jahren begleitet sie Henry in die Kita. Dieses Jahr ist jedoch ihr letztes gemeinsames. Nach dem Sommer wird Henry in die Schule gehen, den Wechsel wird Jasmin B. nicht begleiten. Eine bewusste Entscheidung: „Die Erzieherinnen gehen ja auch nicht mit den Kindern in die Schule. Und Henry tut der Wechsel sicherlich gut.“

Ich möchte Henry ein Gesicht geben
Ich möchte Henry ein Gesicht geben

Eva Karbaumer beschäftigt der Wechsel in die Schule schon seit längerer Zeit. Auch wenn dieser Übergang alle Eltern umtreibt, ist er für sie noch aufregender. „Ein Kind, das nicht spricht und komplett auf die Hilfe von anderen angewiesen ist: Das ist natürlich eine andere Hausnummer. Und dann die vielen Kinder und das riesige Schulgebäude. Nicht mehr der kleine, vertraute Kindergarten“, erzählt Frau Karbaumer. Die Kita-Leitung habe ihr letztendlich Mut gemacht. „Ich habe dann erkannt, dass es eher mein Thema ist als seins. Und die Sorge bleibt ja auch, selbst wenn ich Henry noch ein Jahr zurückgestellt hätte. Manchmal habe ich gedacht, er könnte ja in die Kita gehen, bis er 18 ist“, ergänzt sie noch lachend.

Henry wird nach den Sommerferien eine Schule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung in Köln besuchen. Inzwischen sieht Frau Karbaumer dem Beginn der Schulzeit optimistischer entgegen. Ein Grund dafür sind auch ihre positiven Erfahrungen mit der Schulärztin und der Sonderpädagogin der Schule. 

„Mittlerweile bin ich wirklich beruhigt und meine Sorgen sind größtenteils weg. Ich sehe, dass Henry an der Schule sehr gut gefördert werden kann. Die Sorgen betreffen eher mich und die Vereinbarkeit mit meinem Job. Es gibt zum Beispiel keine Betreuung in den Ferien. Das finde ich definitiv eine Benachteiligung von Kindern mit Behinderung. Wie soll ich das als berufstätige Mutter schaffen“, fasst Frau Karbaumer ihre Gedanken zusammen. Auch Henrys Kita-Begleitung Jasmin B. ist davon überzeugt, dass der Wechsel in die Schule ein sinnvoller Schritt ist: „In der Kita ist Henry immer das besondere Kind. In der Schule hat er diese Sonderrolle dann nicht mehr, was ihm glaube ich auch guttun wird.“

Über ihr Leben mit Henry erzählt Frau Karbaumer auch auf ihrem Instagram-Kanal @evieva. „Ich weiß noch, dass ich in den ersten Jahren nach Henrys Geburt nicht gut sagen konnte: Mein Kind ist behindert. Ich hab dann eher sowas gesagt wie: er ist verzögert und lernt nicht so schnell wie andere. Damit konnten die Leute aber nicht gut umgehen, das hat sie eher irritiert. Vor zwei Jahren habe ich bei Instagram gemerkt, dass es dort eine große Community von Müttern gibt, die ein Kind mit Behinderung haben und da ein richtiges Netzwerk vorhanden ist.“

Für Frau Karbaumer ist Instagram eine Möglichkeit, ihren eigenen Gedanken einen Raum zu geben. 

„Ich will zeigen, dass das Leben anders vorläuft als geplant und es manchmal auch echt hart ist, aber wir als Familie da auch reinwachsen. Hier in Köln-Junkersdorf kenne ich niemanden mit einem Kind mit Behinderung. Andere Mütter erzählen vom Fußballverein oder Schwimmkurs. Das habe ich alles nicht. Auch mal sagen zu können, das ist Mist alles und ich habe mir das anders vorgestellt, war für mich eine richtige Befreiung. Es heißt ja nicht, dass ich eine schlechte Mutter bin, nur weil ich so denke. Diese Gefühle auch zuzulassen, war total wichtig." 

Ob sie auch negative Erfahrungen mit ihrer Entscheidung
gemacht habe, an die Öffentlichkeit zu gehen? 

Ich möchte Henry ein Gesicht geben
Ich möchte Henry ein Gesicht geben

„Nein, gar nicht. Eigentlich war das für mich immer ausgeschlossen, seine Kinder im Netz zu präsentieren. Aber es war mir wichtig, zu zeigen, dass es Kinder mit Schwerstmehrfachbehinderung gibt, denen man das nicht auf den ersten Blick ansieht. Wenn man von Behinderung spricht, hat man
bestimmte Bilder im Kopf, Menschen mit Down Syndrom oder Menschen im Rollstuhl.“ Frau Karbaumer denkt kurz nach, dann ergänzt sie: „Ich möchte Henry ein Gesicht geben und Berührungsängste abbauen.“

Mittlerweile ist in der Kita ‚rainbowtrekkers‘ die Mittagsruhe einkehrt. Die Teller vom Mittagsessen werden abgeräumt und in die Küche gebracht. In der Gruppe wird es deutlich ruhiger. Auch Henry braucht eine Pause, er ist müde. Seine Zeit in der Kita endet bald und wie viele andere Kinder wird er dann in die Schule gehen. Neue Menschen kennenlernen, Erfahrungen sammeln und Neues lernen. Wir wünschen ihm und seiner Familie dafür alles Gute.

Über den Artikel:
Die Gespräche für diesen Artikel fanden im Frühjahr 2022 statt. Inzwischen besucht Henry die Schule. „Der Schulstart war super“, berichtet Frau Karbaumer. Mit dabei: Jasmin B., die den Wechsel ja eigentlich nicht mehr begleiten wollte. „Manchmal läuft es doch anders, als geplant“, schreibt sie in einer Mail.

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