von Florian Tomaszewski
Kurz und einfach
In dem Artikel geht es um eine Wohn·gemeinschaft der
Lebenshilfe Köln.
Die Wohn·gemeinschaft ist in Köln-Ostheim.
Hier wohnen 4 Menschen mit hohem Unterstützungs·bedarf.
Viele Dinge entscheiden sie selbst. Zum Beispiel, wohin sie
in den Urlaub fahren. Sie erledigen auch Aufgaben selbst.
Früher war das anders. Da durften Menschen mit Behinderung
oft nicht so viel entscheiden.
Die Wahl ist schnell getroffen: Am Samstag wird es Kartoffelauflauf geben, am Sonntag dann Couscous-Salat. Insgesamt verläuft der heutige WG-Abend in Köln-Ostheim unkompliziert. „Das Zusammenleben in der WG ist in der Tat sehr harmonisch“, bestätigt Carolin Erken, die Koordinatorin des Wohnprojekts. Die vier Bewohner:innen im Alter von 28 bis 33 Jahren leben seit ihrem Einzug 2017 hier zusammen. Alle haben ein eigenes Zimmer mit Bad und nutzen gemeinsam ein Wohnzimmer mit großer, offener Küche. Außerdem gehört ein kleiner Garten mit Terrasse zur Wohnung im Waldbaldviertel. Trotz des hohen Unterstützungsbedarfs sollen die Bewohner:innen im Alltag mitbestimmen können und in Entscheidungen mit einbezogen werden. Alina Brüning beispielsweise spricht nicht, nutzt aber ihre „Ja/ Nein“-Karten, um ihre Entscheidung durch Zeigegesten mitzuteilen. „Für Frau Brüning können zu viele Auswahlmöglichkeiten überfordernd sein, weshalb wir ihr eine überschaubare Auswahl anbieten. Sie zeigt dann auf ihre entsprechende Auswahl“, erklärt Carolin Erken. Stefan Brauckmann wiederum hat verschiedene Gerichte auf seinem Talker (Sprach-Computer) eingespeichert, aus denen er auswählen kann. Sina Prassel kann verbal mitteilen, was sie gerne essen möchte. Fällt ihr das an einem Tag mal nicht ganz so leicht, werden ihr verschiedene Möglichkeiten aufgezählt. Den Bestand der Lebensmittel hat
Hannah Lantiat immer fest im Blick. Fehlt zum Beispiel etwas im Kühlschrank, der Vorratskammer oder für ihren Eigenbedarf, vermerkt sie es mit der entsprechenden Symbolkarte auf der visualisierten Einkaufsliste an der Kühlschranktür. Jede Person wird also ihren Fähigkeiten entsprechend in die Entscheidungsfindung miteinbezogen.
Es ist noch nicht lange her, da war der Alltag
in Wohnangeboten für Menschen mit Behinderung deutlich fremdbestimmter. Viele Entscheidungen wurden den Menschen abgenommen, Aufgaben übernommen. Feste zeitliche Abläufe bestimmten den Alltag. Das ist heute anders. In vielen Bereichen bestimmen die Menschen selbst und erleben damit auch wieder eine eigene Wirksamkeit. Sie selbst sind handelnde Personen. Alltägliche Verrichtungen sind nicht mehr entkoppelt von ihrem Alltag, weil sie stellvertretend und unsichtbar erledigt werden. Die Wäsche steht nicht irgendwann wieder sauber und gefaltet im Zimmer, das Essen nicht um Punkt 18 Uhr wie von „Zauberhand“ auf dem Tisch. Das eigene Handeln hat erlebbare Konsequenzen. Entscheidungen dürfen selbst getroffen werden.
„Es sind ja erwachsene Menschen“, bestätigt Carolin Erken. Sina Prassel schläft zum Beispiel am Wochenende gerne aus und frühstückt in ihrem Bett. Stefan Braukmann plant mit Hilfe der Mitarbeiter:innen aktuell seinen Geburtstag. Hannah Lantiat bestimmt gerne selbst, wann sie den nahe gelegenen Supermarkt besucht und was sie dort einkauft. Vielleicht ist das Zusammenleben in der WG deshalb so harmonisch, weil die Bewohner:innen hier ihre Individualität wahren können und trotzdem in
einer Gemeinschaft leben.
Wie auch die anderen, ist Sina Prassel aus ihrem Elternhaus direkt in die WG gezogen. Frau
Prassel sitzt im Rollstuhl und ist motorisch stark
eingeschränkt, bestimmt ihren Alltag aber weitestgehend mit Unterstützung selbst.
Sie geht mit ihrer Freizeitbegleitung gerne in die Stadt oder ins Café. Momentan freut sie sich auf ein Konzert ihrer Lieblingsband Brings. Trotz ihres
hohen Unterstützungsbedarfs bestimmt sie über
die Gestaltung ihres Alltags mit.
Die Frage, ob
sie gerne in der WG lebe, beantwortet sie ohne
lange nachzudenken: „Ja!“. Diese Zufriedenheit
strahlt sie aus.