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Partizipation und Spinat 

Überlegungen zur Stärkung von Beteiligung im Verein durch das Projekt Mit:mischen

von Prof. Dr. Christian Huppert

Kurz und einfach

In dem Artikel schreibt Prof. Dr. Christian Huppert über die Arbeits·gruppe Mit:mischen. Er begleitet die Arbeits·gruppe seit über 2 Jahren. Die Arbeits·gruppe soll herausfinden:
Wie können Menschen mit Lern·schwierigkeiten und Menschen mit einer Komplexen Behinderung besser bei der Lebenshilfe Köln mitbestimmen. In der Arbeits·gruppe sind Menschen mit und ohne Behinderung. Zum Beispiel Mitglieder vom Lebenshilfe-Rat und vom Aufsichts·rat, der Vorstand, Mitarbeiter und Bewohner von unseren Wohn·angeboten.
Das schreibt Christian Huppert in seinem Artikel:
Die Lebenshilfe war früher ein Eltern-Verein. Heute bestimmen auch Menschen mit Behinderung mit. Sie wissen selbst, was gut für sie ist. In Deutschland haben Menschen mit Behinderung ein Recht auf Selbst·bestimmung und Mit·bestimmung. Das steht in derUN-Behinderten·rechts·konvention. Die gilt in Deutschland seit 2009.
Die Arbeits·gruppe Mit:mischen hat sich angeschaut, wie Mit·bestimmung von Menschen mit Behinderung bei der Lebenshilfe Köln im Moment funktioniert. Die Arbeits·gruppe hat sich angeschaut, wie die Mit·bestimmung von Menschen
mit Behinderung bei anderen Lebenshilfen funktioniert.
Die Arbeits·gruppe Mit:mischen hat Ideen gesammelt, wie die Beteiligung von Menschen mit Behinderung bei der Lebenshilfe Köln besser funktionieren kann.
Christian Huppert sagt: Die Lebenshilfe Köln ist auf einem guten Weg. Aber es gibt noch viel zu tun, bis Menschen mit Behinderung im Verein gut mitbestimmen können.

Was hat Partizipation mit Spinat zu tun?
Bei der Lebenshilfe Köln tauchen Zusammenhänge auf: Die Projektgruppe Mit:mischen (zur Stärkung der Beteiligung im Verein) durfte sich bei etwas längeren Arbeitstreffen an Leckereien (zum Teil) mit Spinat stärken. Einen weiteren Hinweis liefert Sherry Arnstein, die zu Partizipation schreibt, sie sei „ein bisschen wie Spinat essen: Niemand hat grundsätzlich etwas dagegen, weil er gut für einen ist.“ (Arnstein 1969, S. 216, eigene Übersetzung). Das könnten wir in dieser Weise interpretieren: Wir kommen gar nicht darum herum, Partizipation zu fördern und zu stärken, selbst wenn es uns nicht ganz so gut schmecken sollte. Die Lebenshilfe Köln scheint weder Spinat noch Partizipation abgeneigt und ist an vielen Stellen aktiv, um die Beteiligung behinderter Menschen zu stärken – in den eigenen Angeboten z.B. mit dem Wohn-Beirat, in der Stadt mit dem Projekt der politischen Selbstvertretung und auch in den Vereinsstrukturen bislang mit dem Lebenshilfe-Rat. Das Projekt „Mit:mischen“ hat zum Ziel, die Beteiligung im Verein weiter zu stärken und ich darf diesen Prozess seit einiger Zeit begleiten. Nach einem allgemeinen Blick auf Partizipation werde ich einige (subjektive) Einordnungen zu diesem Projekt versuchen.

Partizipation: Blick zurück und nach vorne

Spätestens mit den Bürgerrechtsbewegungen der 1980er Jahre haben sich behindert werdende Menschen für ihre Rechte eingesetzt und sich sehr deutlich gegen ein fremdbestimmtes Leben positioniert. Bis dahin waren Angebote für behinderte Menschen überwiegend geprägt von der Verwahrung in großen Anstalten, die keine Freiräume für eine individuelle Lebensführung eröffneten. Für Menschen mit Lernschwierigkeiten und für Menschen mit komplexen Behinderungen haben sich vorerst Elternund Fachverbände eingesetzt, allen voran die Lebenshilfe und der Verband für Körper- und Mehrfachbehinderte. Seit den 1990er Jahren gründeten sich regionale Gruppen der Interessenvertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten und mit der aus den USA kommenden „People first“-Bewegung etablierte sich ab 1997 der bundesweit aktive Verein „Mensch zuerst“ zur überregionalen Interessenvertretung.

Prof. Dr. Christian Huppert, Fachbereich Sozialwesen, Hochschule Bielefeld. Lehrgebiet Sozialarbeitswissenschaft mit dem Schwerpunkt Behinderung und Inklusion.
Prof. Dr. Christian Huppert, Fachbereich Sozialwesen, Hochschule Bielefeld. Lehrgebiet Sozialarbeitswissenschaft mit dem Schwerpunkt Behinderung und Inklusion.

Ein erster Meilenstein auf dem Weg zu einer starken Selbstvertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten war 1994 der Duisburger Kongress der Lebenshilfe Bundesvereinigung unter dem Titel „Ich weiß doch selbst, was ich will!“ (Frühauf, 1996). Die Forderung nach Übernahme von Verantwortung und dem Recht auf ein selbstbestimmtes Leben markierte eine Aufbruchstimmung, die in den Folgejahren in weiteren Aktivitäten der Lebenshilfe mündete. Kongresse zur Selbstvertretung 2003 in Dortmund und 2019 in Leipzig, die Gründung von Räten behinderter Menschen sowie die Bündelung der Forderungen zur Stärkung der Selbstvertretung in einem Masterplan der Bundesvereinigung Lebenshilfe im Jahr 2023. Die Lebenshilfe ist nicht mehr allein eine Elternvereinigung, sie entwickelt sich auch zu einem Verein der Selbstvertretung. Parallel zu diesen Entwicklungen hat die UN Behindertenrechtskonvention den Anspruch auf Selbstbestimmung und Partizipation nochmals bestärkt und menschenrechtlich fundiert. Es geht demnach nicht mehr um die Frage, ob Partizipation mehr oder weniger gut schmeckt und gesund ist, sondern um den universellen Anspruch, (Lern-)Räume für wirksame Partizipation zu eröffnen (vgl. Theunissen 2022, S. 43 ff.).

Überlegungen zu Partizipation

Wenden wir uns der Frage zu, was unter Partizipation verstanden werden kann. Partizipation kommt aus dem Lateinischen und kann übersetzt werden mit „einen Teil nehmen, ergreifen, aneignen“ und wird hier im Sinne von aktiver Beteiligung verstanden. Diese ist eng verbunden
mit der Idee des Empowerments, dem Blick auf die Stärken und Ressourcen von Personen, um diese zur (Wieder-) Gewinnung von Autonomie und Selbstbestimmung einsetzen zu können. Kurz gefasst: Es geht um aktive Beteiligung, um Entscheidungsmacht und eng damit verbunden um die Stärkung von selbstbestimmter Gestaltung des eigenen Lebens und des Lebens in gemeinschaftlichen Zusammenhängen. Am Rande aber nicht weniger wichtig:
das schließt ALLE Menschen und damit auch Menschen mit komplexen Behinderungen als handelnde Personen mit ein.

Wie viel Partizipation steckt eigentlich im alltäglichen Handeln oder in Verfahren zur Beteiligung behinderter Menschen? Um sich dieser Frage anzunähern wurden Stufenmodelle entwickelt, die (eher vereinfachend) darzustellen versuchen, wie intensiv partizipativ einzelne Prozesse ausgestaltet sind. Ein erstes Modell hat Sherry Arnstein (1969) vorgelegt (siehe Abbildung). Partizipation fängt in der Vorstufe mit Information an, eine wesentliche Grundlage, um informiert partizipieren zu können. Erst wenn die Personen mitbestimmen können oder Entscheidungsmacht haben, können wir von Partizipation sprechen, in der stärksten Form, wenn Personen über alle wesentlichen Prozesse die Kontrolle haben. Partizipation ist immer mit der Verschiebung von Macht verbunden – sie wird geteilt oder gänzlich übertragen.

Abbildung: Stufen der Partizipation in Anlehnung an Arnstein (1969)
Abbildung: Stufen der Partizipation in Anlehnung an Arnstein (1969)
Stufen der Partizipation

Das Interesse an Partizipation und die nötigen Fertigkeiten entwickeln sich durch Erfahrung in partizipativen Lern- Räumen. Solche Räume stehen für Menschen mit Lernschwierigkeiten bislang nur eingeschränkt zur Verfügung oder sind nur schwer zugänglich. Die Lebenslage der Personengruppe ist häufig geprägt von hoher sozialer Abhängigkeit und geringen Möglichkeiten aktiver Beteiligung und Einflussnahme (vgl. Nieß 2016). Das Projekt Mit:mischen versucht, solche Lern-Räume bei der Lebenshilfe Köln zu identifizieren.

Logo Mitmischen

Ein subjektiver Blick auf Mit:mischen

Ich hatte im Rahmen meiner Beschäftigung bei einer Lebenshilfe Ortsvereinigung Anfang der 2000er Jahre das Glück, eine Gruppe behinderter Menschen begleiten zu dürfen, deren Anspruch es war, sich aktiv einzubringen und Themen selbstbestimmt zu bearbeiten. Wir haben gemeinsam gelernt, wie wir uns diesem Ziel annähern können. Mir wurde Macht zugeschrieben („du leitest doch unsere Gruppe“), ich habe die Entscheidungsmacht abgegeben („ich begleite diese Gruppe“), die Gruppe hat sich strukturiert, diskutiert, mitgemischt und nach einiger Zeit auch eine Tagung (mit)organisiert.

Als mich die Lebenshilfe Köln anfragte, den Prozess zur Stärkung der Beteiligung behinderter Menschen im Verein zu begleiten, war ich gerne dazu bereit. Es ist konsequent und (menschenrechtlich) geboten, die Entwicklung zu einem Verein der Selbstvertretung weiterzuführen. Auf diesen Weg haben wir uns begeben und wir dürfen mit allen Beteiligten einen neuen Lern-Raum gestalten.

Ich nutze das Stufen-Modell für ein Zwischenfazit: Wir stehen weit oben auf der Vorstufe von Partizipation (bei Mitwirkung) und haben erste Schritte in Richtung Mitbestimmung getan. Diese Vorstufe war und ist wichtig und notwendig: Wir haben uns gemeinsam Zeit genommen, Informationen zusammengetragen, Gäste eingeladen, zugehört, eingeordnet, viel diskutiert und Perspektiven für Beteiligung im Verein entwickelt. Besonders spannend war ein Impuls aus dem Projekt Mit:mischen, der die Zusammenarbeit zwischen Lebenshilfe-Rat und Aufsichtsrat neu belebt und dazu geführt hat, dass der Lebenshilfe-Rat seine Arbeit stärker auf seinen Auftrag ausrichtet und dass ein konkretes Anliegen aus dem Lebenshilfe-Rat strukturiert weiter bearbeitet werden konnte.

Gleichzeitig stelle ich selbstkritisch fest, dass die Steuerung des Gesamtprozesses von Mit:mischen bislang ohne direkte Beteiligung behinderter Menschen erfolgte. Wir haben viele konkrete Themen dann direkt in der Gruppe ausgehandelt: der passende Zeitrahmen für die Treffen, das Arbeitstempo und eine verständliche Dokumentation. Viele Lern-Räume für alle Beteiligten, in denen wir erkannt haben, dass die Zusammenarbeit Verständnis füreinander
benötigt und gleichzeitig stark machen kann.

Die nächsten Schritte stellen neue Herausforderungen an uns alle. Wir wollen konkrete Maßnahmen zur Stärkung von Beteiligung erproben, die notwendigerweise Veränderungen und Machtverschiebungen mit sich bringen werden. Dabei tauchen wieder neue Fragen und nachvollziehbare Unsicherheiten auf, die zu bearbeiten sind. Dem müssen wir uns stellen ohne den weiteren Weg zu verstellen. Ein spannender und spannungsreicher Weg, der zu
gehen sich lohnt…

Wenn wir nun davon ausgehen, dass alle Menschen und damit auch Menschen mit (komplexen) Behinderungen handelnde und partizipierende Personen sind und wenn wir Partizipation als einflussnehmendes und machtvolles Handeln beschreiben, das sich an demokratischen Qualitäten orientiert, dann bedarf es neuer Aushandlungen zur Verteilung von Macht und Einfluss. Wie war das mit dem Spinat und Partizipation? Muss gemacht werden, ist notwendig, aber anstrengend? Wir haben uns laut UNBehindertenrechtskonvention
zu Partizipation verpflichtet, die Lebenshilfe hat sich seit vielen Jahren auf den Weg gemacht, in Köln sind viele Initiativen angestoßen. Es geht voran – und wir gestalten mit.

Literatur
Arnstein, Sherry R. (1969): A Ladder of Citizen Participation. AIP Journal, 35 (4), S. 216–224.
Frühauf, Theo (1996): Selbstbestimmung. Dokumentation des Kongresses „Ich weiss doch selbst, was ich will!“ 1994 in Duisburg. Marburg: Lebenshilfe-Verlag.
Nieß, Meike (2016): Partizipation aus Subjektperspektive. Wiesbaden: Springer.
Theunissen, Georg (2022): Empowerment. Wegweiser für Inklusion und Teilhabe behinderter Menschen. 4., aktualisierte Auflage. Freiburg im Breisgau: Lambertus.

Links
Mensch zuerst – Netzwerk People First Deutschland e.V.:
www.menschzuerst.de
Selbstvertretung – Na klar! Masterplan der Lebenshilfe:
https://www.lebenshilfe.de/mitmachen/aktiv-werden/selbstvertretung-von-menschen-mit-behinderung/masterplan
Index/Fragensammlung für Partizipation:
https://beb-mitbestimmen.de/

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